Diät für Körper und Seele

Tagelang nichts essen? Immer mehr tun es. Kein Wunder: Die Heilkräfte des Fastens bei bestimmten Leiden sind erwiesen. Außerdem schützt es vor Lebensstilerkrankungen.
Illustration: Malcolm Fisher
Mirko Heineman Redaktion

Der Moment, in dem sich der Körper auf das Überleben ohne Nahrung umstellt. Wenn das flaue Gefühl aus dem Verdauungstrakt verschwindet. „Am dritten Fastentag fühlt es sich an, als würden Körper und Geist in eine Art kraftvollen Ruhemodus versetzt”, berichtet eine Freundin Anfang 50. „Gleichzeitig nimmt man seine Umgebung viel intensiver wahr.” Sie fastet regelmäßig, das bedeutet bei ihr: Ein Mal pro Jahr, meistens im Frühjahr, nimmt sie für sieben bis zehn Tage keine feste Nahrung zu sich. Nur ein Mal am Tag trinkt sie ein Glas dünne Brühe aus ausgekochtem, kaum gewürztem Gemüse. „Das ist dann das kulinarische Highlight”, sagt sie.


Das Fasten, also der temporäre Verzicht auf Nahrung, ist in vielen Kulturen rituell verankert und hat eine jahrtausendalte Tradition. Jesus Christus soll bekanntlich 40 Tage weder Nahrung noch Wasser zu sich genommen haben, als er in der Wüste fastete. Bis heute sind die 40 Tage vor Ostern als offzielle Fastenzeit in den christlichen Kalendern vermerkt. Katholiken sind angehalten, währenddessen nur eine Mahlzeit pro Tag zu sich zu nehmen. Anderswo gelten noch strengere Maßstäbe an das Fasten: Während des Ramadan dürfen Muslime erst nach Sonnenuntergang essen und trinken. Buddhistische Mönche und Nonnen verzichten jeden Tag ab 12 Uhr mittags auf jegliche Nahrungsaufnahme.


Das Fasten ist mittlerweile aber auch eine von vielen Medizinern anerkannte Präventionsmethode, die vor Lebensstilkrankheiten wie Bluthochdruck, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen schützen kann. Neben der direkten Wirkung liegt auf der Hand, dass Fastende, die sich zwangsläufig mit Themen wie Stoffwechsel, Ernährung und dem eigenen Lebensstil beschäftigen, auch ihren sonstigen Alltag gesundheitsbewusster gestalten. Selbstredend sind für Fastende auch Alkohol und Rauchen tabu.


Neben Brühe nimmt die Freundin in der Fastenzeit nur ungesüßten Tee zu sich. Und viel Wasser. Die minimalistische Nahrungsversorgung soll während des Fastens Schadstoffe, so genannte Schlacken, aus dem Körper herauslösen. Die Durchblutung in den kleinsten Gefäßen soll sich verbessern. Ob das wirklich stimmt, ist für sie zweitrangig. „Es kommt vor allem darauf an, wie man sich fühlt”, findet die Freundin. Und das scheint auszureichen, um sie jedes Jahr neu zu motivieren. „Nach dem Fasten fühle ich mich unbeschwerter. Wie verjüngt”, berichtet sie. Schöner Nebeneffekt: „Ich nehme etwa vier Kilo ab.” Ihr neues Gewicht hält etwa ein halbes Jahr vor, bevor es gen Winter langsam wieder steigt – und bald die nächste Fastenzeit ansteht.


Die Fastenmethode, die sie anwendet, wurde von dem deutschen Arzt Otto Buchinger Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelt. Buchinger war davon überzeugt, dass regelmäßiges Fasten heilende Wirkung hat. In seiner Privatklinik, die er 1920 im hessischen Witzenhausen eröffnete, behandelte er Patienten mit verschiedenen Erkrankungen. Angeblich soll er sich auch selbst von schweren Stoffwechselstörungen kuriert haben.


Heilfasten wirkt laut Buchinger nicht nur auf der medizinischen Ebene, sondern auch auf psychosozialer und spiritueller Ebene. Diese drei Dimensionen bilden gemäß seiner Anschauung zusammen eine nicht zu trennende Einheit. Buchinger sprach daher auch von einer „Diät der Seele“ während des Fastens. Ruhephasen sollen sich mit körperlichen Aktivitäten abwechseln, Stress soll möglichst vermieden werden. Der Fastende soll sich schönen Dingen wie Musik, Büchern, Natur und Meditation widmen und Medienkonsum sowie täglichen Stress meiden. Bewegung in der Natur, etwa das Spazierengehen im Wald, soll die Abwehrkräfte stärken. Zugleich sollen Entspannungsübungen helfen, Körper, Geist und Seele in Einklang zu bringen. Auch regelmäßige Darmreinigungen durch Einläufe gehören zum Fasten nach Buchinger.


Das Fasten hielt Buchinger für den „Königsweg der Heilkunst”. Dennoch brauchte es noch viele Jahre, bis es von der Medizin als therapeutische Maßnahme anerkannt wurde. Erst 2002 wurden die ersten Richtlinien zur Fastentherapie veröffentlicht, 2013 wurden sie noch einmal überarbeitet. Die Richtlinien empfehlen das Heilfasten sowohl als Präventionsmaßnahme für Gesunde als auch bei bestimmten Krankheiten, wie rheumatoider Arthritis oder dem Metabolischen Syndrom, einer Herz-Kreislauf-Erkrankung, zur Besserung des Gesundheitszustands. Eine Besonderheit dieser Therapieform: Ihr Erfolg hängt von den Patienten ab. „Da die Fastentherapie die aktive Mitarbeit der Fastenden erfordert, kann sie nicht einfach verordnet werden”, so ein Zitat aus der Leitline. Darüber hinaus spiele die Erfahrung der Fastenärzte eine entscheidende Rolle.


Dann aber könne Fasten bei vielen Erkrankungen heilfördernde Wirkung entfalten. Neben chronischen Entzündungen, Erkrankungen an Herz und Kreislauf, psychosomatischen Krankheiten kann Fasten auch bei Bluthochdruck, Migräne, Arthritis, Fibromyalgie und chronischen Schmerzen des Bewegungsapparates eine heilsame Wirkung entfalten.


Der Verzicht auf Nahrung über einige Tage sollte für gesunde Menschen kein Gesundheitsrisiko darstellen. Dennnoch rät die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, das Fasten von Ärzten oder Therapeuten betreuen zu lassen, die für die Fastentherapie zertifiziert sind. Seit 1996 können Ärzte das Weiterbildungszertifikat „Fastenärztin/Fastenarzt“ der „Ärztegesellschaft Heilfasten und Ernährung” erwerben. Die Gesellschaft führt auf ihrer Website aerztegesellschaft-heilfasten.de auch Adressen von Fastenkliniken und Fastenärzten auf.  


Und wie ist das mit dem Hunger? „Schwache Momente, in denen man sich nach Essen sehnt, gehören zum Fasten dazu”, räumt die Freundin ein. Echter Hunger sei das jedoch nicht. Zu Beginn des ersten Fastentages wird der Darm mit Hilfe von Passagesalz oder Glaubersalz vollständig entleert. Damit soll kein Hungergefühl mehr eintreten. Und nach sieben bis zehn Tagen erfolgt dann das Fastenbrechen – mit einem gut durchgereiften Apfel. In den Tagen danach wird die Kalorienzufuhr langsam gesteigert. „Es ist ein komisches Gefühl, nach so einer langen Zeit wieder etwas zwischen den Zähnen zu haben”, berichtet die Freundin. „Diesen Apfel nach langem Verzicht vor sich auf dem Teller zu betrachten, ist toll! Ein bisschen wie Weihnachten!”

 

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