Herzforschung auf Hochtouren

Das Herz ist ein faszinierendes Organ. Immer noch kann kaum ein technischer Apparat mit seiner Leistungsfähigkeit mithalten.
Illustration: Antje Kahl
Illustration: Antje Kahl
Dr. Ulrike Schupp Redaktion

Bis zu drei Milliarden Mal schlägt es im Laufe eines Menschenlebens und fördert so mehr als zwei Millionen Liter Blut durch den Körper. Um es gesund zu halten, haben Medizinerinnen und Mediziner in den letzten 20 Jahren große Fortschritte erzielt – und arbeiten weiter an innovativen Behandlungskonzepten.

Herzinfarkt, Herzschwäche, Herzklappenerkrankungen, Rhythmusstörungen oder auch angeborene Herzfehler führen zu über 1,7 Millionen Klinikeinweisungen im Jahr, sagt die Deutsche Herzstiftung. Bei einem Infarkt herrscht enormer Zeitdruck. Ins Krankenhaus geht es oft im Rettungswagen und mit Blaulicht. Denn hier zählt jede Sekunde: Um Leben zu retten und auch um nach einem erfolgreichen Eingriff möglichst viel Lebensqualität für die Patientinnen und Patienten zu erhalten.

Herzerkrankungen sind für die Betroffenen belastend. Pumpt das Herz nicht mehr richtig, macht sich das auch im Alltag häufig durch geringere Belastbarkeit bemerkbar. Wer an einer Herzerkrankung leidet, sollte Stress vermeiden oder stressige Phasen zumindest immer wieder ausgleichen, auf Pausen achten und mit seiner Energie haushalten. Für das Gesundheitssystem sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen dabei vor allem eins: teuer. Sie verlaufen in der Regel chronisch, können sich trotz Behandlung verschlimmern und weitere schwere Folgen haben. Kein Wunder also, dass Forschung und Entwicklung auf Hochtouren laufen, um neue Behandlungs- und Diagnoseverfahren sowie medikamentösen Therapien zu entwickeln.

Minimalinvasive Kardiologie

Ein zukunftsweisender Durchbruch in der Kardiologie gelang schon vor etwa 30 Jahren. Andreas Grüntzig dehnte 1977 in Zürich erstmals durch eine sogenannte Ballondilatation verengte Herzkranzgefäße wieder auf. Dem Patienten, einem 38-jährigen Mann mit einer schweren Verengung des Vorderwandgefäßes, konnte er so die Bypass-Operation ersparen. Gleichzeitig legte der Arzt damit den Grundstein für die interventionelle, minimalinvasive Kardiologie von heute.

Etwas modernisiert ist sein Verfahren immer noch erfolgreich im Einsatz. Ein spezieller Katheter, ein superdünnes Kunststoffröhrchen, wird dabei mit einem winzigen aufblasbaren Ballon an der Spitze über die Arterie der Leiste oder der Armbeuge durch das Gefäßsystem geführt, bis es die verengte Stelle des Herzkranzgefäßes erreicht hat. Hier wird der Ballon unter sehr hohem Druck aufgepumpt und das verschlossene Blutgefäß damit so weit aufgedehnt, dass das Blut wieder problemlos hindurchfließen kann. Mit dem Ballonkatheter kann gleichzeitig ein Stent, ein winziges Metallröhrchen, eingeführt werden, das als Gefäßstütze dafür sorgt, dass sich die verengte Stelle nicht einfach wieder schließt. Der Ballonkatheter wird anschließend wieder entfernt, der Stent bleibt. Stents können den Schutz noch einmal verstärken, indem sie zusätzlich Substanzen freisetzen, die ebenfalls helfen, das Blutgefäß offenzuhalten.

Bei einem Infarkt sind die minimalinvasiven Katheter-Verfahren oft lebensrettend. Sie dauern oft nur etwa 30 Minuten und verhindern das weitere Absterben von Herzmuskelgewebe oder auch eine akute Herzschwäche. Durch die lokale Betäubung spüren Patientinnen und Patienten nicht einmal Schmerzen. Eine Vollnarkose ist in der Regel nicht nötig. Während noch vor 30 Jahren jeder Dritte bei einem Herzinfarkt starb, kehren heute circa 95 Prozent der Infarktpatienten in ihren Alltag zurück.

 

»Bei einem Infarkt sind minimalinvasive Katheter-Verfahren oft lebensrettend.«

 

Ultraschallimpulse gegen Plaques

Mittlerweile können auch die Ballonkatheter selbst mit Medikamenten beschichtet werden. Während der Ballondilatation kommen die Wirkstoffe dann mit der Gefäßwand in Kontakt und verhindern dort die Bildung von Ablagerungen. Allerdings kann der Kalziumplaque in den Gefäßen so hart wie Beton sein, sagt Anwar Hanna, Chefarzt der Klinik für Kardiologie des Gesundheitszentrums Bitterfeld/Wolfen, an der jährlich etwa 2.000 Untersuchungen im Herzkatheterlabor durchgeführt werden. „Die Gefäße sind dann mit üblichen Methoden wie Stents und Ballons nicht mehr aufdehnbar. Schwer davon betroffene Patienten mussten bisher meist operiert oder in Spezialkliniken zur Weiterbehandlung verlegt werden. Aber es gibt die moderne Methode der Intravaskulären Lithotripsie, die wir erfolgreich anwenden.“ Der verhärtete „Kalk“ wird dabei mit Ultraschallimpulsen aufgesprengt, sodass die Patientin oder der Patient anschließend mit einem minimalinvasiven Verfahren weiter behandelt werden kann.

Selbstauflösende Stents

Vielleicht könnten bald sogenannte Scaffolds die bewährten Metallstents ablösen. Bei Scaffolds handelt es sich um bioresorbierbare Stents, die einige wenige Jahre im Körper verbleiben, bevor sie sich dort vollständig auflösen. Diese standen zwar zunächst in der Kritik, das Risiko zur Bildung von Blutgerinnseln zu erhöhnen. Diese Stent-Thrombosen sind eine gefürchtete Komplikation. Seit Kurzem versprechen allerdings weiterentwickelte selbstauflösende Stents bessere Therapiemöglichkeiten. Bereits 2018 wurde im Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) in der Klinik für Innere Medizin III erstmals eine bioresorbierbare Gefäßstütze der dritten Generation eingesetzt. Die Klinik arbeitet an der Weiterentwicklung der neuen Stents und ist an wichtigen Studien dazu federführend beteiligt. Die Stents sollen die Arterien während des Heilungsprozesses stabilisieren und nach bis zu vier Jahren wieder aus dem Körper verschwinden.

Das Verfahren ermöglicht der Arterie, ihre natürlichen Funktionen zurückzugewinnen und könnte damit möglicherweise nötige, zukünftige Eingriffe erleichtern. Im Vergleich zu den Modellen der ersten Generation sind die neuen bioresorbierbaren Stents wesentlich dünner. „Ein dünneres Profil kann die Benutzerfreundlichkeit während der Implantation und die Gefäßheilung nach dem Eingriff deutlich verbessern“, sagt Dr. Matthias Lutz vom UKSH Kiel. „Meine Erfahrung mit diesem Stent ist, dass mit dieser Weiterentwicklung eine einfachere Implantation möglich ist, gerade da diese in der Röntgen-Durchleuchtung sehr einfach zu verfolgen ist. Bioresorbierbare Gefäßstützen haben das Potenzial, die Langzeitergebnisse im Vergleich zu Medikamente freisetzenden Stents aus Metall weiter zu verbessern und sind eine wichtige Behandlungsoption, gerade für unsere jüngeren Patienten, beziehungsweise Patienten, bei denen die Engstellen in den Koronararterien gewisse Kriterien erfüllen.“

Schutz vor Atherosklerose

„Verkalkungen“, die Plaques an den Wänden der Blutgefäße, die auch durch chronisch verlaufende, entzündliche Prozesse entstehen, gelten als Hauptursache für die Koronare Herzkrankheit, für Schlaganfälle oder Herzinfarkte. Trotz medikamentöser Behandlung tragen viele Patientinnen und Patienten mit Atherosklerose weiterhin ein hohes Risiko, schwere Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu entwickeln. Signalproteine, die eine wichtige Rolle bei den Signalprozessen zwischen und innerhalb von Zellen spielen, könnten hier neue Ansatzpunkte für wirkungsvollere Therapien liefern. Forschende vom Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) konnten bereits zeigen, dass es Mäuse vor gefährlichen, instabilen Gefäßablagerungen schützen kann, wenn ihnen an einem bestimmten Signalprotein mangelt. Die Mäuse, denen das Protein fehlte, schütteten zugleich in bestimmten T-Zellen weniger von dem Protein Interferon-gamma aus, das die Aktivität des Immunsystems fördert. Atherosklerose gilt als eine Erkrankung, bei der die Immunantwort entgleist. Abgeschlossen ist die Forschung zu den Effekten von bestimmten Signalproteinen auf unterschiedliche Zelltypen noch lange nicht. Aber die Chancen stehen gut, dass sich das Entstehen von Plaques durch diesen neuen Ansatz künftig noch besser verhindern lässt.

 

Corona-Impfungen für Herzpatient:innen

 

Themen, die aktuell auch für die Kardiologie im Fokus stehen, sind SARS-CoV-2, die Wirkung von COVID-19 sowie die Wirkung der Impfstoffe auf Herzpatientinnen und -patienten. Viele fürchten, infolge einer Impfnebenwirkung an einer Herzmuskelentzündung zu erkranken oder auch das Herz durch die Impfreaktion noch einmal besonders zu belasten. Der Deutschen Herzstiftung zufolge haben Menschen mit Vorerkrankungen von Herz und Kreislauf bei einer Infektion jedoch ein zwei bis dreifach höheres Risiko, an COVID-19 auch zu sterben. Ebenfalls zwei bis dreifach erhöht sei das Risiko für einen schweren Verlauf.

„Myokarditis ist eine relevante Nebenwirkung“, sagt der Kardiologe Thomas Voigtländer von der Deutschen Herzstiftung, das dürfe man nicht verschweigen. „Aber das Auftreten einer Myokarditis im Rahmen einer COVID-19-Infektion liegt bei 11 pro 100.000. Im Rahmen einer Impfung beträgt das Risiko 1 bis 3 pro 100.000“, das zeige eine Studie aus Israel zum Impfstoff von Biontech/Pfizer. Die Angst mancher Menschen, dass die Impfung „aufs Herz geht“, sei übertrieben: Jede Impfung belaste den Körper und damit auch die Organe, „weil sie eine Infektion nachspielt“, erklärt Voigtländer. Wer sich nicht gegen Krankheiten wie COVID-19 impfen lasse, gehe aber ein weit höheres Risiko ein.

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