Erhöhte Heilungschancen

Fortschritte in der Chirurgie und multimodale Therapiekonzepte verbessern die Prognose nach einer Krebsbehandlung.
Illustration: Luisa Jung
Mirko Heinemann Redaktion

Beinahe täglich gibt es Neues zu vermelden in der Krebsforschung. Es sind keine Nachrichten von großen Durchbrüchen oder revolutionären Entdeckungen. Vielmehr sind es Zeugnisse beharrlicher Forschung und einer nicht nachlassenden Energie, den tödlichen Tumoren ihre Geheimnisse zu entlocken und ihre Schwachstellen auszumachen.


Der Kampf gegen den Krebs gleicht eher einer langwierigen, mühevollen Kärrnerarbeit als einem Gefecht mit schnellen Ergebnissen. Zumal die Forscher einem Gegner hinterherrennen, den sie nicht einholen können. Es ist die Demografie. Dass sich die Zahl der Neuerkrankungen seit den 1970er-Jahren in Deutschland fast verdoppelt hat, hat seinen hauptsächlichen Grund darin, dass die menschen immer älter werden – und damit die Wahrscheinlichkeit einer Krebsdiagnose rapide ansteigt.


Jeder zweite heute lebende Mensch wird im Laufe seines Leben mit der Diagnose Krebs konfrontiert, so das Robert Koch-Institut (RKI), das die Krebsregisterdaten auswertet. Krebs ist nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen die zweithäufigste Todesursache in Deutschland. 2015 waren Krebserkrankungen nach Angaben des Statistischen Bundesamts die Ursache für fast ein Viertel aller Todesfälle. Knapp 500.000 Menschen erkranken laut RKI jedes Jahr neu daran, etwa 220.000 sterben an Krebs. Die häufigsten Krebserkrankungen sind bei den Männern Prostatakrebs, es folgen Lungenkrebs und Darmkrebs. Frauen sind am häufigsten von Brustkrebs, Darmkrebs und Lungenkrebs betroffen. Aufgrund der demografischen Entwicklung in Deutschland ist zwischen 2010 und 2030 mit einem Anstieg der Krebsneuerkrankungen um mindestens 20 Prozent zu rechnen.


Neben dem demografischen Wandel, dem Hauptgrund für die steigenden Krebsraten, weist die Weltgesundheitsorganisation WHO auf den ungesunden Lebenswandel hin, der sich mit dem wachsenden Wohlstand weltweit durchsetzt. Die Zahl der Raucher steige weltweit massiv an, auch der Konsum von Alkohol nehme zu. Die WHO fordert daher die Regierungen dazu auf, die Gesetze zum Rauchen und zur Regulierung des Konsums von Alkohol und zuckerhaltigen Getränken zu verschärfen. Außerdem müsse die Vorsorge verbessert und Luftverschmutzung stärker thematisiert werden.


Unter den vermeidbaren Risikofaktoren habe der Tabakkonsum die größte Bedeutung, heißt es auch beim RKI. Nach Schätzungen lassen sich derzeit etwa 16 Prozent aller Krebserkrankungen in Deutschland pro Jahr dem Rauchen zuschreiben. Seit einigen Jahren treten bei Frauen unter 40 Jahren in Deutschland so viele Erkrankungen an Lungenkrebs auf wie unter gleichaltrigen Männern. Eine weitere Rolle spielten Übergewicht und Bewegungsmangel. Bei den ernährungsabhängigen Einzelfaktoren sei Alkoholkonsum ein wichtiger Faktor.


Zugleich aber haben sich die Heilungschancen erheblich verbessert. Beim schwarzen Hautkrebs, Hodenkrebs oder Prostatakrebs etwa sind sie statistisch gesehen sehr gut: Fünf Jahre nach der Diagnose leben noch mehr als 90 Prozent der Betroffenen. Bei bestimmten Tumoren der Bauchspeicheldrüse hingegen liegt diese Rate bei unter 20 Prozent. Insgesamt haben sich die Überlebensaussichten für Krebspatienten in Deutschland in den letzten 30 Jahren erheblich erhöht, heißt es in dem jüngsten „Bericht zum Krebsgeschehen in Deutschland“ des RKI.


Dazu tragen nicht zuletzt verbesserte Therapien bei. Lange standen Patienten im fortgeschrittenen Stadium außer Chemotherapien und Bestrahlungen keine weiteren Behandlungsformen zur Verfügung. Dank der Fortschritte im Bereich der Genomforschung können nun mehr und vor allen Dingen mehr personalisierte, also auf das Individuum zugeschnittene Therapien zum Einsatz kommen. Diese setzen eine umfassende molekulare Untersuchung vor der Therapie voraus. Aber auch bei der so genannten Immuntherapie, einer weiteren neuen Therapieform, eröffnen sich immer mehr Ansatzpunkte. Bei der häufigen Form des nicht-kleinzelligen Lungenkrebs etwa existieren mittlerweile für mehr als 25 Prozent der Patienten in inoperablen Tumorstadien zielgerichtete Therapien – hochgerechnet für Deutschland entspricht dies mehr als 7.000 Patienten, die von diesen Therapien profitieren könnten.


Auch Viren könnten gegen Lungenkrebs eingesetzt werden, das hoffen jedenfalls Wissenschaftler des Universitätsklinikums Münster. Mit Hilfe gentechnischer Methoden verändern sie Grippeviren so, dass sie in der Lage sind, Tumorzellen anzugreifen und zu zerstören. Zusätzlich stimulieren diese sogenannten „onkolytischen“ Viren das Immunsystem. Das körpereigene Abwehrsystem kann dem Tumor bisher kaum etwas entgegensetzen. Denn Krebs vermag das Immunsystem umzuprogrammieren, so dass es den Tumor nicht mehr angreift. Wären die Tumorzellen mit Grippeviren infiziert, löste das eine starke Immunantwort gegen die befallenen Zellen aus. Dahinter steht die Idee, das körpereigene Immunsystem gegen den Krebs zu mobilisieren.


Fortschritte in der Chirurgie sorgen dafür, dass der Kampf gegen die Tumoren aussichtsreicher ist als noch vor wenigen Jahren. Das hängt nicht nur mit der technischen Weiterentwicklung der Chirurgie zusammen, sondern auch mit den veränderten Therapiekonzepten: Die chirurgische Entfernung eines Tumors ist in der Regel in ein sogenanntes multimodales Therapiekonzept eingebettet. Seit etwa bekannt ist, dass bösartige Tumoren über die Lymphbahnen in benachbarte Lymphknoten und über die Blutbahn häufig in Leber und Lunge streuen, wird nicht mehr nur der Primärtumor entnommen, sondern auch das umliegende, so genannte Lymphabstromgebiet. So können das Ausmaß der Erkrankung, die individuelle Prognose und die Notwendigkeit zusätzlicher Therapieverfahren besser eingeschätzt werden.


Weitere Fortschritte in der Chirurgie haben dazu geführt, dass Tumoren der Leber, der Bauchspeicheldrüse, der Speiseröhre oder des Enddarms, die noch vor 20 Jahren als inoperabel galten, heute oftmals erfolgreich operiert werden können. Dabei kommen zunehmend auch minimal-invasive Operationsverfahren und Operationsroboter zum Einsatz, die vom Chirurgen bedient werden. In diesen minimal-invasiven Operationen wird ein Tumor über kleine Schnitte an der Körperoberfläche präzise entfernt. Durch die kleineren Schnitte verkürzt sich die Erholungsphase nach der Operation, zudem werden große, sichtbare Narben vermieden.


Krebs wird heute in der Regel nicht mehr nur allein durch operative Entfernung des Tumors behandelt. Dazu kommen weitere Verfahren, etwa die Behandlung mit Strahlen oder eine Chemotherapie vor oder nach der Tumoroperation. Das Ziel ist, zum einen das Rückfallrisiko am Ort der Tumorentstehung zu senken wie auch die Wahrscheinlichkeit einer Entwicklung von Metastasen, also weiteren Tumorherden an anderen Stellen zu verringern. Manchmal kann eine Operation erst dann durchgeführt werden, nachdem der Tumor durch eine Strahlen-, Chemo- oder eine kombinierte Therapie verkleinert wurde.


Während früher angenommen wurde, dass allein die radikale operative Entfernung von Tumoren gute Heilungschancen bietet, weiß man heute, dass durch eine multimodale Krebsbehandlung oftmals ausgedehnte chirurgische Eingriffe vermieden werden können. Besonders deutlich wird dieser Wandel in der Behandlung von Brustkrebs: Während bei Operationen der weiblichen Brust mittlerweile erheblich weniger Gewebe entfernt wird und die Brust der Patientinnen somit häufig erhalten werden kann, wurden zugleich bessere Behandlungserfolge erzielt.


Ein weiterer Pfeiler der modernen Krebstherapie ist die Vorsorge: Ärzte raten deshalb, alle Früherkennungsuntersuchungen auch wirklich wahrzunehmen. Und damit tun sich vor allem Männer ziemlich schwer. So ist Prostatakrebs die häufigste Krebserkrankung bei Männern, doch zu wenige nehmen das Angebot zur Früherkennung wahr. Nahezu 60 Prozent der Männer im Alter ab 45 Jahre nehmen sogar an keinerlei Vorsorgeuntersuchung teil.

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