Was tun, wenn die Seele krankt?

Psychische Erkrankungen haben während der Pandemie rapide zugenommen.
Illustration: Ivonne Schulze
Illustration: Ivonne Schulze
Iunia Mihu Redaktion

Seit Beginn der Pandemie hatten Forscher auch die seelischen Auswirkungen der Coronakrise im Blick. Zahlreiche Studien zeigen: Die Diagnoseraten von Depressionen, Anpassungsstörungen sowie Angsterkrankungen gehen aufgrund der Covid-19-Pandemie nach oben – die Nachfrage nach psychotherapeutischer Beratung ist groß, das Angebot aber zu klein.

Untersuchungen zeigen, dass schon bereits die erste Welle der Pandemie für viele Menschen sehr belastend war. „Social Distancing“, Kontaktbeschränkungen, Betriebsschließungen, Schulschließungen, stillgelegtes Kulturleben – all das hat Ängste, depressive Verstimmungen und Stress befeuert. Hinzugekommen sind für viele Menschen Existenzängste sowie Sorgen um erkrankte Familienmitglieder, Trauer und Tod.

Die Zunahme von psychischen Belastungen spiegelt sich auch in den Krankschreibungen wider. „Noch nie gab es wegen psychischer Erkrankungen so viele Ausfalltage im Job wie im Corona-Jahr 2020“, heißt es im aktuellen DAK-Psychoreport. Demnach erreichten sie mit rund 265 Fehltagen je 100 Versicherte einen neuen Höchststand – im Vergleich zu 2010 ist das eine Zunahme um 56 Prozent. Betroffen waren vor allem Frauen, bei den Männern verharrten die Fehlzeiten fast auf Vorjahresniveau.

Experten sprechen von einer Anpassungsstörung als eine Reaktion auf verschiedenste Belastungen. Ausgelöst werden seelische Krisen durch Scheidung, Arbeitsplatzverlust, Mobbing, aber auch der Tod eines Angehörigen oder eine schwere Erkrankung kann dazu führen. Eine Anpassungsstörung kann sich innerhalb von etwa vier Wochen verfestigen. Häufig kommt es dann zu depressiven Verstimmungen, Ängsten und starken Sorgen. Der Alltag gelingt nicht mehr so gut, manche ziehen sich zurück. Die Symptome lassen in der Regel nach rund einem halben Jahr nach, sie können sich aber auch verschlechtern und in eine schwere psychische Störung übergehen, etwa in eine Depression oder Angststörung. Eine Diagnose durch einen niedergelassenen Facharzt ist wichtig.

Über die Art der Behandlung wird gemeinsam mit dem Patienten entschieden. Zur Wahl steht eine Psychotherapie – folgende Therapieformen übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen: Kognitive Verhaltenstherapie, die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, die analytische Psychotherapie („Psychoanalyse“) sowie EMDR („Eye Movement Desensitization and Reprocessing“), eine aus den USA stammende Therapieform zur Behandlung von Traumafolgestörungen. Seit dem 1. Juli 2020 kann auch die Systemische Therapie mit den gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet werden. Eine medikamentöse Behandlung mit Psychopharmaka erfolgt oft in Kombination mit einer Psychotherapie.

Lange Wartezeiten auf ein Erstgespräch

Bis eine Therapie startet, kann es lange dauern. Denn wer hierzulande psychisch leidet, braucht vor allem eins: Geduld – das war schon vor Corona der Fall. Die Nachfrage nach psychotherapeutischer Hilfe hat während der Pandemie noch einmal stark zugenommen. Das geht aus einer Blitzumfrage der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung (DptV) hervor: Demnach sind im Vergleich zum Vorjahreszeitraum die Patientenanfragen in Praxen um durchschnittlich 40 Prozent angestiegen. Nur jeder vierte Patient würde überhaupt einen Termin für ein Erstgespräch erhalten, mehr als die Hälfte müsse länger als einen Monat darauf warten – für Menschen mit einer Depression ist das schlichtweg zu lang.

Gebhard Hentschel, Bundesvorsitzender der DptV, fordert mehr Flexibilität. So müsse die psychotherapeutische Telefonkonsultation auch Anfragenden zugänglich gemacht werden. Bisher git es diese Option nur für Patientinnen und Patienten, die sich bereits in Therapie befinden. Die Therapiedringlichkeit bei Kindern und Jugendlichen liegt mit 60 Prozent mehr Anfragen sogar noch höher als bei Erwachsenen, hat der Verband in einer anderen Umfrage ermittelt. Der Verein Pro Psychotherapie e.V. kritisiert, dass es zwar genügend ausgebildete Psychotherapeuten gebe, die könnten aber oft wegen Vorgaben der Kassenärztlichen Vereinigung die Behandlung nicht übernehmen. Das Berechnungssystem der Kassenärztlichen Vereinigung stimme längst nicht mehr mit dem realen Bedarf überein, so der Verein. Damit in der Post-Coronawelt auch jeder gut versorgt ist, gibt es also noch viel zu tun. 

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